Carlos
Saura, geboren 1932 in Huesca, studiert Ingenieurwesen, beschäftigt
sich aber bereits während des Studiums intensiv mit Fotografie
und Kunst. 1953 beginnt er ein Regiestudium an der 1947 gegründeten
Filmhochschule Instituto de Investigaciones y Experiencias Cinematográficas
IIEC in Madrid.
Nach einigen Kurzfilmen und der Tätigkeit
als Kamera- und Regieassistent, realisiert er 1959 seinen ersten
Spielfilm Los golfos (Die Straßenjungen),
der stark vom italienischen Neorealismus beeinflusst ist. Erst mit La
caza (Die Jagd 1965), einer tragischen Geschichte über eine
Jagdpartie unter Freunden, die unterschiedliche Lebensansichten haben,
gelingt ihm der internationale Durchbruch und Saura findet seinen persönlichen
Stil, indem er präzise Beobachtungen menschlicher Verhaltensmuster
mit politischen Andeutungen, surrealen Elementen und verschlüsselten
Metaphern vermischt.
Mit Peppermint frappé - erneut einer psychologische Erkundung
zu den Auswirkungen der Franco-Repression- beginnt die langjährige
Zusammenarbeit zwischen Carlos Saura, der Schauspielerin Geraldine
Chaplin - mit der er fortan zusammenlebt- und dem jungen baskischen
Produzenten Elías Querejeta und damit die wohl brillanteste
Zeit seines Filmschaffens.
Zu dieser äußerst produktiven Phase
(1967 bis 1979) gehören
drei der in der Werkschau gezeigten Filme: Filme, die inhaltlich und
formal die abstrakte Ausdrucksweise beibehalten, die Misere der spanischen
Gesellschaft durchleuchten und es doch immer wieder schaffen, die Zensur
zu umgehen: Ana y los lobos (Ana und die Wölfe 1972) erzählt
die Geschichte des englischen Kindermädchens Ana, das in ein abgelegenes
Landhaus einer großbürgerlichen Familie im Landesinneren
kommt, und ist eine filmische Parabel über die Abgründe der
spanischen Gesellschaft unter Franco; Cría cuervos (Züchte
Raben 1975), der in Cannes den großen Preis der Jury bekommt,
zeigt in Rückblenden das Leben der neunjährigen Ana, die
den mysteriösen
Tod ihrer Eltern auf eine ganz persönliche Weise erlebt, während
sie versucht, gegen das Machtgefüge in der Familie zu rebellieren.
Mit Elisa,
vida mía (Elisa, mein Leben 1977) gelingt
Carlos Saura ein Meisterwerk: Er wechselt zwischen Wirklichkeit,
Erinnerung und Vision und führt eine Doppelrolle für Geraldine Chaplin
ein. Hinzu kommt Sprache als ausschlaggebendes Element: Die Energie
des gesprochenen Wortes und des geschriebenen Textes ziehen den Zuschauer
in den Bann und hallen noch lange nach. Das Wechselspiel zwischen Film
und Literatur beginnt schon beim Titel, der aus einem Gedicht von Garcilaso
de la Vega stammt, dessen Schönheit Saura fesselt:
[¿Quién me dijera, Elisa, vida mía, cuando en aqueste
valle al fresco viento... Wer, Elisa, mein Leben, hätte mir gesagt,
als wir durch jenes kühle Tal liefen...].
Anfang
der 1980er Jahre beginnt für Saura eine neue Filmepoche,
die des Tanz- und Musikfilms. Zusammen mit dem risikobereiten
Produzenten Emiliano Piedra entsteht Bodas de sangre (1981),
angeregt durch das Theaterstück, das der berühmte Tänzer
Antonio Gades inszeniert hatte. Es folgen Carmen (1983)
und El amor brujo (1986). Aus dieser Flamenco-Trilogie,
die ihm großen internationalen und kommerziellen Erfolg
bescherte, zeigen wir Carmen, den efektvoll gestalteten Film,
der durch die musikalische Begleitung des großen Gitarristen
Paco de Lucía die Oper von Bizet auf ihre spanischen Wurzeln
zurückführt.
Fados (2007) schließt -zusammen mit Flamenco (1995)
und Tango (1998)- Sauras Trilogie über das urbane Liedgut
des 20. Jahrhunderts. Der Film lässt uns die portugiesische
Musik, die ihren Ursprung Anfang des 19. Jahrhunderts in den Armenvierteln
Lissabons hat, und ihre neuen Variationen bewundern, und lässt
ahnen, dass der Fado Anfang des neuen Jahrtausends zur internationalen
Weltmusik avanciert ist.
Alba Fominaya
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